Drücke „Enter“, um zum Inhalt zu springen

Wie eine scholastische Quaestion funktioniert – Utrum Deus sit corpus (STh I Q.3 a.1): Ist (hat) Gott ein(en) Körper?

In einem unbekannten Land vor gar nicht allzu langer Zeit:

Ich fand dialoge von Thomas von Aquin sehr erbaulich, die etwa so aufgebaut waren: der autor behandelt ein thema, und der heutige leser denkt „donnerwetter, der mann hat recht!“, aber dann kommt: „aber die heilige kirche sagt – – „, und man nimmt schleunigst sein vorschnelles urteil zurück, oder – – – – er war ein schelm, sagte, was er dachte, uim es sofort zu neutralisieren. Dieser meinung war wohl auch das „heilige offizium“, vor dem ihn sein plötzlicher tod bewahrte, malaria oder gift, das war die frage.
(15. Dezember 2009)

Wer hat den Thomas von Aquin gelesen? Auch da ist vieles in dialogform, das war didaktisch damals so üblich, und ein schema zeichnet sich ab: er spricht ein thema vernünftig an, und man denkt, donnerwetter, der mann hat recht, dann kommts knüppeldick, aber die heilige kirche sagt – – – – – – –
(28. Juli 2011)

Thomas von Aquin wird oft erwähnt, aber wenig gelesen, er beschäftigt sich mit solchen fragen. gibt mehrere, manche sehr modern anmutende antworten, die er dann dialektisch aufarbeitet. Welche mag die seine gewesen sein? Hielt ihn die inquisition für ein häretisches schlitzohr, obwohl er immer schließt „Aber die heilige kirche sagt – – – -!“ und das mit bibel- und kirchenlehrer-zitaten belegt. Der prozess wäre interessant geworden, der unerwartete tod verhinderte ihn.
(25. April 2013)

Ich habe in erinnerung, dass Thomas zu jedem thema, das er anspricht, mehrere lösiungen gibt, auch welche, die man heute unterschreiben könnte, aber dann kommt : „aber die heilige kirche sagt – – – – -!“bla-bla. (in einer englischen übersetzung, die mir vorliegt, ist das ersetzt durch „But I say – – -!, ist das „korrigiert“? )
Kein wunder, dass die inquisitoren ihn scheel ansahen, denn was war seine eigene meinung, die er „durch die blume“ mitteilte?
(25. Juli 2013)

Thomas von Aquin untersucht wie vor ihm die Pariser Sorbonne erstaunliche, ketzerisch anmutende sachverhalte, gibt aber mehrere lösungen, richtig ist natürlich immer, „was die heilige kirche sagt“. Das ist schon interessant zu lesen. Die aufsichtsbehörde hielt ihn anscheinend für ein durchtriebenes schlitzohr, aber als Dominikaner hatte er mächtige freunde, ob er einer anklage nur durch plötzlichen tod entging, ist fraglich, aber möglich.
(14. September 2013)

Wie hat Thomas die frage beantwortet? Er gibt ja immer zwei oder drei versionen und endet „Aber die heilige kirche sagt – – – -„, und das muss ja dann stimmen.
(10. April 2017)

Da es auch nach vielen Jahren noch große Unklarheiten über das Werk des Thomas von Aquin zu geben scheint, halte ich es für notwendig, eine kurze Einführung zumindest in die Arbeitsweise des doctor angelicus zu geben, die gleichsam einen Einblick in die scholastische Methode gibt. Ich werde mich dabei rein auf diesen Aspekt beschränken und die implizite Verschwörungstheorie aussparen; vielleicht komme ich ja zu einem späteren Zeitpunkt darauf zurück.

In seinem berühmtesten Werk, der Summe der Theologie (Summa Theologiae), verwendet Thomas von Aquin die Herangehensweise der quaestio, und das meint eine methodisch formalisierte Untersuchung mit Frage(stellung) und Antwort(suche). Grundsätzlich besteht so eine Untersuchung aus fünf Elementen, wobei einzelne Quaestionen inhaltlich in verschiedene Artikel differenziert werden, um möglichst viele Aspekte der Fragestellung abzudecken. Innerhalb der Artikel finden sich wiederum unterschiedliche Argumente, die sich im Idealfall auf Syllogismen herunterbrechen lassen, bei denen zwei (oder mehrere) Prämissen zu einer folgerichtigen Konklusion führen.

Die grundlegenden Elemente der Untersuchung sind nun im Einzelnen:

  1. Die Fragestellung.
    Sie soll bzw. muss präzise und konkret erfolgen, und bricht einen Sachverhalt meist auf zwei Optionen herunter (ja oder nein), insofern gefragt wird „ob“ (lat. an bzw. utrum) diese oder jene Alternative korrekt ist. Eine schlechte bzw. unpräzise Fragestellung kann letztlich Aufschluss darüber geben, ob der Autor den Sachverhalt überhaupt angemessen durchdrungen und verstanden hat.
  2. Die Einwände.
    Eingeleitet mit „es scheint“ (lat. videtur), findet sich hier zumeist die Sammlung derjenigen Argumente, die zur negativen Antwort auf die Fragestellung führen. In den meisten Fällen beinhalten die Einwände jene Position, die der Autor selbst ablehnt; es gehört jedoch als wesentliches Element zur Untersuchung, dass die Einwände in der stärksten Form vorgebracht werden, in der man sie finden bzw. in die man sie selbst bringen kann (sog. steelmanning im Unterschied zum sog. strawmanning, bei dem eine Position möglichst schwach formuliert wird). Wer hier schlampt, der arbeitet nicht im Sinne es scholastischen Anspruchs und verfehlt seine Aufgabe – er liefert schlichtweg eine schlechte Untersuchung ab.
  3. Der Wendepunkt.
    Eingeleitet mit „aber andererseits“ (lat. sed contra), wird an dieser Stelle meist eine anerkannte Autorität zitiert; das kann „die Kirche“ (bzw. kirchliche Autoritäten wie Päpste, Konzile, Theologen, Heilige, …) oder „die Bibel“ sein, aber auch „der Philosoph“ (Aristoteles) bzw. allgemein Philosophen (so bezieht sich Thomas bspw. auch auf Rabbi Moses, i.e. Moses Maimonides). Wichtig dabei: Sed contra ist nicht der Endpunkt der Untersuchung, sondern lediglich der Übergang von der einen Seite der Fragestellung zur anderen. Wer meint, die Antwort auf die Fragestellung erschöpfe sich im bloßen Zitieren einer Autorität, der verfehlt den Anspruch der Untersuchung eklatant bzw. hat die Untersuchung an sich nicht begriffen.
  4. Die eigene Antwort.
    An dieser Stelle liefert der Autor ganz explizit seine eigene Position, und entsprechend wird sie mit „ich antworte“ (lat. respondeo) eingeleitet. Hier stehen, analog zu den eingangs angeführten Einwänden, alle Argumente, die der Autor als positive Antwort auf die Fragestellung anführen kann.
  5. Die Antworten auf die Einwände.
    Die Untersuchung wird beschlossen mit Antworten auf die eingangs angeführten Einwände. Hier, am Ende, wird also diejenige Position, die der Autor nicht teilt oder ablehnt, argumentativ entkräftet bzw. widerlegt.

Sehen wir uns vor diesem Hintergrund nun mal das jüngste Zitat an, das sich an die eingangs aufgeführte Reihe anschließt:

Die „Summa theologica“, teil 1 von Thomas von Aquin wirft 26 fragen auf, darunter:
Die existenz gottes-gottes güte-gottes namen-über die himmlische seligkeit.

Ein blick in nr.3, die einfachheit gottes:
Wir können nicht wissen, was und wie gott ist, eher, was und wie er NICHT ist. Betrachten wir; wie er nicht ist, wie ist er uns bekannt, wie ist sein name. Ist gott einfach, ist er vollkommen, ist er unendlich und unveränderlich?
8 punkte zur „einfachheit“: Ist (hat) gott ein/en körper, setzt er sich aus materie und form zusammen?
Einspruch 1: gott hat einen körper
ein körper hat 3 dimensionen, gott ist höher als der himmel, tiefer als die hölle, länger als die erde und breiter als die see (Hiob 15,8,9),
Einspruch 2:
es scheint, gott habe eine gestalt, denn es heißt „Lasst uns einen menschen nach uunserem bilde machen“
Einspruch 3:
Was körperteile hat, ist ein körper. „Die augen gottes ruhen auf den gerechten, die rechte hand des HErrn ist stark“.
Darum hat gott einen körper

Aber nun das gegenteil:Johannes (4,24): „Gott ist geist.“ und „kein körper kann sich bewegen, wenn er nicht bewegt wird“.
Nun ist aber bewiesen (sic!), dass gott der „erste beweger“ ist und selbst unbeweglich. Es ist absolut wahr, dass gott kein/en körper ist/hat!
(12. April 2017)

Leider gibt unser Kollege hier keine Quelle an, aus der er seine Wiedergabe von STh I Q.3 a.1 herauskopiert hat. Was er hier aber so – ich unterstelle jetzt dann doch einmal Absicht – zerhackstückt und löchrig (ich nenne es mit viel Bauchweh) „zitiert“, lässt sich hier im Originaltext und hier in einer einigermaßen brauchbaren englischen Übersetzung in Gänze nachlesen. Da natürlich kaum jemand Zeit oder Lust hat, den gesamten Text durchzugehen – und darauf wird der Kollege wohl mit seinem … „Zitat“ spekulieren -, folgt nun ein kleines Kompendium, das dem Anspruch nach mehr eine Zusammenfassung denn eine echte Übersetzung darstellt.

Fragestellung des Artikels:

Utrum Deus sit corpus?
– Ist Gott ein Körper? Oder: Hat Gott einen Körper? Oder: Ist Gott körperlich?

Videtur:

Es scheint, dass Gott ein Körper ist bzw. einen Körper hat bzw. körperlich ist:

  • Erstens: Ein Körper hat drei Dimensionen, und die Bibel sagt, Gott sei höher als der Himmel, tiefer als die Unterwelt und ausgedehnter als Land und Meer (Hiob 11). Daraus folgt: Gott hat drei Dimensionen, ist ergo ein Körper.
  • Zweitens: Alles was Gestalt hat, ist ein Körper, denn Gestalten sind Beschaffenheit (qualitas) durch Menge (quantitas). Der Schrift nach scheint Gott Gestalt zu haben, wenn es heißt, der Mensch sei in seinem Bilde erschaffen (Gen 1). Die Schrift sagt weiter, ein Bild sei eine Gestalt (Hebr 1). Daraus folgt: Gott ist ein Körper.
  • Drittens: Alles, was Körperteile hat, ist ein Körper. Die Schrift schreibt Gott Körperteile zu: Arm, Augen, rechte Hand (Hiob 40, Ps 33, Ps 117). Daraus folgt: Gott ist ein Körper.
  • Viertens: Ausschließlich Körper besitzen Stellung/Lage/Haltung (situs). Gemäß der Schrift sitzt Gott [auf seinem Thron] oder steht (auf) [um zu richten] (Jes 3, Jes 6). Daraus folgt: Gott ist ein Körper.
  • Fünftens: Mit den Bezeichnungen „woher“ oder „wohin“, die Räumlichkeit beschreiben, kann man sich nur auf etwas Körperliches oder einen Körper beziehen. Die Schrift ruft nun die Leute zu Gott hin und beklagt, wenn sie sich von ihm abwenden (Ps 33, Jeremia 17). Daraus folgt: Gott ist etwas Körperliches bzw. ein Körper.

Sed contra:

Aber andererseits heißt es in der Bibel: Gott ist Geist (Joh 4).

(Bis hierhin hat der Kollege noch einigermaßen okay gelesen. Es folgt nun das, was ihm nach eigener Aussage ein Rätsel ist. Zugleich wird da natürlich auch deutlich, dass das gegebene „Zitat“ zwei Abschnitte des Artikels einfach so vermischt hat. Das Zitat aus dem Johannes-Evangelium gehört nämlich weder zu Thomas‘ eigener Antwort noch schließt sie die Argumentation des Artikels ab, auch wenn die „Zitier“-weise sich alle Mühe gibt, diesen Eindruck zu erwecken. Thomas‘ eigene Antwort beginnt nämlich wie folgt:)

Respondeo:

Ich [= Thomas] antworte, es lässt sich mit Gewissheit sagen, dass Gott kein Körper ist, und das kann man auf dreierlei Weise aufzeigen:

  1. Kein Körper ist in Bewegung, wenn er nicht zuvor bewegt wurde. Weiter vorne im Text der Summe (nämlich in Quaestion 2, Artikel 3) wurde aufgezeigt, dass Gott als erstes Bewegendes nicht selbst bewegt wird. Daraus folgt, dass Gott kein Körper ist.
  2. Das erste Seiende ist mit Notwendigkeit im Akt (= Wirklichkeit) und nicht in der Potenzialität (= Möglichkeit), denn Möglichkeit kann nur durch Wirklichkeit selbst Wirklichkeit werden; Möglichkeit setzt also immer Wirklichkeit als notwendig voraus. Weil weiter vorne im Text der Summe aufgezeigt wurde, dass Gott das erste Seiende ist, kann es folglich in Gott nichts geben, das lediglich Möglichkeit und nicht Wirklichkeit wäre. Weil in jedem Körper aber immer Möglichkeit vorhanden ist (das Zusammengesetzte lässt sich bis in alle Ewigkeit aufteilen, hat also immer wenigstens diese eine Möglichkeit in sich), kann Gott unmöglich (im wahrsten Sinne des Wortes …) ein Körper sein.
  3. Gott ist das Herausragendste alles Seienden. Weil ein Körper entweder belebt oder unbelebt ist, kann das allerdings nicht auf einen Körper zutreffen. Denn obwohl ein belebter Körper herausragender ist als ein unbelebter, ist er nicht aufgrund seiner Körperlichkeit belebt, sondern aufgrund einer Wirklichkeit, die ihm überhaupt erst Belebtheit verleiht – ein(e Art von) „Lebenshauch“. Das wiederum ist noch herausragender als der davon belebte Körper. Also kann Gott unmöglich ein Körper sein.

(Wie Sie also sehen, Herr Kollege: In diesem oberen Abschnitt, der mit „Ich antworte“ eingeleitet wird, findet sich die Meinung, die Thomas vertritt. Das sollte Ihre zuvor benannte Verwirrung bzw. die angesprochenen Unklarheiten beseitigen. Zugleich steht in diesem Abschnitt natürlich auch viel mehr als nur das immer wieder gebrachte „aber die heilige Kirche sagt“.)

Antworten auf die Einwände:

Schließlich kommen zum Abschluss noch die Antworten auf die Anfangs-Argumente, dass Gott ein Körper sei:

  • Zum ersten (Gott habe drei Dimensionen):
    Wie in Quaestion 1, Artikel 9 aufgezeigt, verwendet die Schrift für das Göttliche und Geistliche eine Sprache der Analogie, die die Körperlichkeit zur Veranschaulichung des Unkörperlichen benutzt: Körperliche Menge/Zahl/Größe steht in Analogie zur Größe göttlicher Macht, Tiefe steht bspw. für die Tiefe göttlicher Kenntnis und Weisheit, Ausdehnung für seine allumfassende Liebe.
  • Zum zweiten (Gott habe Gestalt):
    Dass der Mensch in Gottes Bild geschaffen wurde, bezieht sich nicht auf seinen Körper, sondern auf das, wovon er sich von den (anderen) Tieren abhebt. Man muss die genannte Bibelstelle (Gen 1, 26) nur mal unmittelbar weiterlesen: „Lasst uns Menschen machen in unserem Bilde. Sie sollen herrschen über die Fische der See usw. usf.“ Es geht hier also nicht um das, was der Mensch mit den anderen Tieren gemein hat, sondern um das, was ihn von den anderen Tieren unterscheidet. Und diese Dinge sind nicht körperlich.
  • Zum dritten (Gott habe Körperteile):
    Die Schrift bezieht sich auf Körperteile, wenn sie Gottes Handeln beschreibt, das in Analogie zur Tätigkeit der entsprechenden Körperteile steht. Die Tätigkeit des Auges ist so z.B. das Sehen, und die Schrift verwendet in Folge das Sehen als Analogie für die göttliche Ein-Sicht.
  • Zum vierten (Gott habe Stellung / Lage / Haltung):
    Auch hier spricht die Schrift in Analogien. Das Sitzen auf dem Thron umschreibt z.B. Gottes Herrschaft.
  • Zum fünften (Gott habe Räumlichkeit):
    Menschliche Nähe zu oder Entfernung von Gott bezieht sich nicht auf eine räumliche Distanz, sondern auf eine Haltung im menschlichen Geist. Dafür werden Analogien aus der Welt der räumlichen Bewegung verwendet.

Inwieweit das, was Thomas uns hier vorlegt, „mit Vernunft (nicht) fassbar“ ist, wäre eine spannende Diskussion. Was meinen die aufgeklärten Rationalisten?

Und eine große Bitte an den Kollegen: In Zukunft bitte wirklich zitieren.

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert