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Achtung, Click-Bait!

Unter dem Titel „Warum der Vatikan die Wissenschaft ignoriert“ liefert das Nachrichten- und Erklärportal der katholischen Kirche in Deutschland einen als redaktionellen Inhalt getarnten Kommentar mit Click-Bait-Überschrift – und eklatanten sachlichen Mängeln.

Es wäre für diesen Rahmen viel zu viel, auf alle Mängel einzugehen; daher soll sich die folgende Betrachtung erst einmal auf die offensichtlichsten Probleme konzentrieren:

„… Humanwissenschaften im Fokus: die Gender-Forschung, Geschlechterrollen und -identitäten, die Bewertung nicht-heterosexueller Partnerschaften oder die Familienbilder …“

Die Bewertung von Dingen ist nicht Aufgabe der Humanwissenschaften, sondern sie setzt an zwei möglichen Punkten an: entweder vor-wissenschaftlich im Rahmen des jeweiligen Erkenntnisinteresses; oder danach als moralphilosophischer (bzw. moraltheologischer) Diskurs.

„Die Kirche argumentiert mit Blick auf die menschliche Sexualität mit einem sogenannten Naturrecht, laut dem jedem Menschen nach seinem Chromosomensatz (XX für weiblich, XY für männlich) ein eindeutiges Geschlecht zugeordnet ist, das er zu leben hat: männlich oder weiblich.“

Darin stecken mehrere Probleme:

Erstens
Die Kirche argumentiert nicht mit einem „sogenannten“ Naturrecht. Die Kirche argumentiert mit einem echten Naturrecht. Das unterscheidet sich sowohl von den „Naturgesetzen“ (natural law ungleich law(s) of nature) als auch von allerlei Ideen rund um ein „kosmisches Gestz“ (im Sinne von dharma, das bisweilen auch als „natural law“ übertragen wird) als auch und vor allem vom modernen, an John Locke und Thomas Hobbes anknüpfenden Konzept eines „Naturzustands“, der in „natürliche Rechte“ übergeht (natural rights ungleich natural law). Hier wäre es für den Autoren wohl von Vorteil gewesen, den aktuellen Stand der Geisteswissenschaften in Erfahrung zu bringen und in den Text einfließen zu lassen.

Zweitens
Naturrechtlich hängt das Geschlecht nicht am Chromosomensatz, sondern an der natürlich vorhandenen Teleologie: Ist ein Mensch von Natur aus auf das Schwängern hingeordnet, so ist er „männlich“; ist ein Mensch von Natur aus auf das Schwanger-Werden hingeordnet, so ist er „weiblich“. Der Chromosomensatz ist in diesem Kontext lediglich eine mechanistische Entsprechung zu dieser teleologischen Realität. Andere Entsprechungen finden sich z. B. in den primären und sekundären Geschlechtsorganen, in der Produktion spezifischer Gameten im Körper oder in der Zusammensetzung des Hormonhaushalts.

Drittens
Die Unterscheidung anhand des Chromosomensatzes erfolgt nicht in der Differenzierung zwischen „XX“ und „XY“. Sie erfolgt anhand der Frage, ob im Chromosomensatz (mindestens) ein Y-Chromosom vorhanden ist oder nicht: Falls es (mindestens) ein Y-Chromosom gibt, dann zählt der Mensch als „männlich“; falls es kein Y-Chromosom gibt, dann zählt der Mensch als „weiblich“. Diese Herangehensweise deckt auch abweichende Konstellationen ab wie z. B. „X“ (Turner-Syndrom, weiblich) oder „XXY“ (Klinefelter-Syndrom, männlich). Die Differenzierung in „XX“ und „XY“ stellt eine eher populärwissenschaftlich und pädagogisch griffige Unterscheidung dar, die im Biologie-Unterricht der Unter- oder Mittelstufe vermittelt werden kann, da es in diesem Zusammenhang (noch) nicht auf entsprechende Feinheiten ankommt.

„In der Theorie bedeutet das: Transidente Menschen darf es laut kirchlicher Lehre eigentlich nicht geben.“

Nein, das bedeutet es nicht. In der Theorie kann es durchaus Menschen geben, deren (psychologische) Identität nicht der wie oben beschrieben empirisch bzw. materiell erfahrbaren und naturrechtlich eingeordneten (physiologischen) Realität entspricht. Dass dies in der Praxis andere Folgen zeitigt als bei Menschen, deren psychologische Identität der physiologischen Realität entspricht, ergibt sich logisch: Die naturrechtliche Teleologie ist nicht bloß deskriptiv, sondern sie besitzt auch eine normative Dimension.

Diese Dinge haben es leider nicht in den vorliegenden Text geschafft.

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