n-tv.de – „So viel Vertrauen hat Bundeskanzler Gerhard Schröder nur selten von den SPD-Linken bekommen. Und gerade jetzt kann er es nicht brauchen: Die Vertrauensabstimmung im Bundestag, die Schröder verlieren will, soll ja nicht allzu sehr nach Trickserei aussehen.
Berichte, Schröder habe sich bei Bundespräsident Horst Köhler darüber beklagt, dass die Kritik an seinem Reformkurs vor allem in der SPD-Fraktion ständig zunehme, seien falsch, sagte der SPD-Linke Michael Müller.“
Laut „Spiegel“ hatte Schröder dem Bundespräsidenten in einem vertraulichen Gespräch gesagt: „Meine Regierungsmehrheit ist instabil.“ Auch bei der beabsichtigten Vertrauensfrage könne er sich nicht auf seine Fraktion verlassen: Diejenigen, die ihm misstrauten, würden das nicht durch ihr Abstimmungsverhalten dokumentieren wollen. Diese Abgeordneten könnten möglicherweise seine „Absicht konterkarieren“. Daher sei geplant, dass die Kabinettsmitglieder geschlossen gegen ihn stimmen würden.
So steht denn nun, wenn auch momentan noch nicht ganz offiziell, der Plan unseres Kanzlers: die seiner Richtlinienkompetenz untergeordneten Minister mit Abgeordnetenmandat sollen der Abstimmung fernbleiben.
Das klingt auf den ersten Blick logisch, denn schließlich geht es in gewisser Weise auch um sie, wenn sich der Chef der Vertrauensfrage stellt. Und da es – man kennt es vielleicht von Klassensprecherwahlen – nicht gerade zum guten Ton gehört, wenn man für sich selbst stimmt – vor allem in solch einer prekären und existenziell wichtigen Lage – ist es nur rechtens, dass sich die rot-grünen Minister und Ministerinnen ihrer Stimme enthalten, um so ein repräsentatives Ergebnis des Bundestages nicht zu verzerren.
Aber, und das dürfte wohl mittlerweile jedem, der sich nur einigermaßen sporadisch über diesen Sachverhalt informiert hat, klar sein – so ganz lupenrein ist die ganze Geschichte um den Rücktritt das verlorene Vertrauen des Friedenskanzlers nicht wirklich. Selbst wenn Schröder die Vertrauensfrage verlieren sollte, so bleibt dennoch der fahle Beigeschmack eines verfassungsrechtlichen Tricks. Bereits in der letzten Woche wurden hier zwei Möglichkeiten vorgestellt, wie unser Regierungschef den unliebsam gewordenen Posten verlieren und Neuwahlen anzetteln kann. Davon wurde jedoch die eine (Verknüpfung der Vertrauensfrage an eine Sachfrage) aufgrund von Erfahrungen bei solchen Dingen bereits im Text relativiert. Und die andere dürfte, wie man jetzt beispielsweise vom linken Flügel der SPD hört, ebenfalls wenig aussichtsreich sein. Denn die Abgeordneten, die ihn eigentlich nicht mehr haben wollen, sichern ihm paradoxerweise (schon im Vorfeld) das Vertrauen zu. Warum? Damit man ihnen später keinen Dolchstoß anhängen kann. Das ist vor allem jetzt wichtig, da sich ein Kritikpunkt der Koalition an der Opposition – und dem von ihr dominierten Bundesrat – in Luft aufgelöst hat. Denn: Vom Bundesrat wurde kaum ein Gesetzesvorschlag blockiert.
Das heißt weiter, dass es eben nicht das fehlende Fundament im Zusammenspiel zwischen den gesetzgebenden Verfassungsorganen war, die Schröder dazu veranlasst haben, den Bundespräsidenten mit Neuwahlen zu beauftragen. Diese Patt-Situation war nämlich schon weitaus früher gegeben; die verlorene NRW-Wahl stellt bei genauerer Betrachtung nur einen kleinen Tropfen im Fass dar. Viel mehr liegt das Problem also, wenn man den Faden weiterspinnt, offensichtlich bei den Gegnern aus den eigenen Reihen. Bei jenen, die mit den Hartz-Reformen nicht einverstanden waren. Bei jenen, die man mit Heuschrecken wieder einzufangen versuchte. Dass aber nun gerade diese parteiinternen Gegner ihm partout nicht das Vertrauen entziehen wollen – nachdem schon der kleinere Koalitionspartner es abgelehnt hat, dem Regierungschef in den Rücken zu fallen – lässt scheinbar wieder zwei Möglichkeiten offen:
Entweder das schon angesprochene Fernbleiben der Minister mit Bundestagsmandat. Dass diese Variante, die wohl die wahrscheinlichere ist, Früchte tragen kann und wird, dürfte wohl außer Zweifel stehen. Denn ohne diejenigen, welche ein legislatives und ein exekutives Amt auf sich vereinigen, hat die Regierungskoalition nur noch 295 Sitze und damit deutlich weniger als die benötigte Kanzler-Mehrheit von 301 Sitzen. Selbst dann, wenn die beiden PDS-Abgeordneten und der aus der CDU-Fraktion ausgeschlossene Martin Hohmann, drei Abgeordnete, für deren politische Laufbahn eine gescheiterte Vertrauensfrage existentiell bedrohlich werden kann, für den Kanzler stimmen. Ob diese Variante jedoch nicht auch und vor allem wegen ihres Kalküls einen trickreichen Beigeschmack haben dürfte, steht offen.
Die andere Variante wäre eine Verfassungsänderung, wie sie denn auch gefordert wurde. Eine Verfassungsänderung, die beispielsweise dem Bundestag erlaubt, sich mit einem Beschluss durch eine Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten selbst auflösen zu können. Dass da aber beispielsweise der kleine Koalitionspartner nicht mitspielt, dürfte verständlich sein: schließlich zeigt man dadurch, was man vom deutschen Grundgesetz hält. Die Stellen, die der jeweils machthabenden Mehrheit nicht gefallen, werden entweder geändert oder es werden neue Passagen hinzugefügt, die in der aktuellen Lage vielleicht sinnvoll sein mögen, in unbestimmter Zukunft aber enormen Schaden anrichten können. Die Väter des Grundgesetzes haben die Parlamentsauflösung nicht umsonst so erschwert. Schließlich hatte man, wenn man nur wenige Jahre zurückblickte, ein exzellentes Beispiel dafür, was passiert, wenn man eine löchrige Verfassung als Grundlage für einen Staat nimmt. Und eine Grundgesetzänderung an genau diesem Punkt würde die ohnehin schon aufgeweichte Verfassung nur noch weiter aushöhlen.
Was bleibt dem Kanzler also für eine Möglichkeit, den unliebsamen Posten in der Chefetage der Bundespolitik loszuwerden, ohne dafür mit irgendwelchen Tricks arbeiten zu müssen? Ganz einfach: der Rücktritt. Denn kann danach kein neuer Kanzler gefunden werden, so hat der Bundespräsident das Recht, den Bundestag aufzulösen. Dieser Schritt wäre einfach, verständlich und juristisch zweifelsfrei.
Aber vielleicht möchte ja auch Gerhard Schröder vom Stuhl gekratzt und herausgetragen werden. Damit stünde er zumindest in der Tradition einiger anderer Politiker seines Schlags.

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