Drücke „Enter“, um zum Inhalt zu springen

Altkatholische „Geschichtsoffenheit“

Die „geschichtsoffene“ Lesart, die der altkatholische Bischof Matthias Ring auf katholisch.de vorschlägt, klingt in meinen Ohren ehrlich gesagt nach dem genauen Gegenteil: sehr a-historisch, d.h. un-geschichtlich.

Im Gegensatz zu anderen als heilig verehrten Schriften ist die Bibel nach christlichem Glauben nicht einfach so vom Himmel gefallen, sondern ihre Bücher stehen in einem vielschichtigen Kontinuum der Selbst-Deutung und Selbst-Verortung derjenigen Gemeinschaft(en), die sie geschrieben, gesammelt und kanonisiert hat (bzw. haben). Kurzum, die Bibel ist in doppelter Hinsicht Urkunde des Glaubens: einerseits als ursprüngliche Kundgabe einer gemeinsamen Erfahrung; andererseits als Beglaubigung eines gemeinsamen Narrativs.

Aus genau diesem Grund lässt sich eine historische Auslegung der Bibel nie unabhängig von dieser Aufschichtung – oder anders: von diesem Ge-schichte – vollziehen. Das heißt: Zu einem historischen Bibelverständnis gehören immer sowohl der Text selbst als auch die Auslegungstradition(en) derjenigen Gemeinschaft, die den Text gestiftet hat.

Indem der altkatholische Bischof Ring – zumindest nach der Darstellung des oben verlinkten Artikels – durch den ablehnenden Rekurs auf eine historische Entwicklung der kirchlichen Lehre den Bibeltext konzeptionell von einer Auslegung durch die Kirche trennt, nimmt er der historisch-kritischen Methode nicht nur den ihr zustehenden Kontext weg, sondern er bricht auch das o.g. Ge-schichte auf: Text-, Literar-, Gattungs- und Redaktionskritik sind in sich selbst theologisch bedeutungslos, da sie zur Säkularhistorie und nicht zur Heilsgeschichte gehören. Damit verlässt Ring das Kontinuum, in welchem sich die Bibel als Urkunde (Ur-Kunde) des Glaubens befindet, zugunsten einer a-historischen, einer un-geschichtlichen Perspektive.

In Übereinstimmung damit steht sein Rekurs auf die weltkirchliche Dimension:

Durch die Entkoppelung von Europa und Afrika im Zuge seiner Ablehnung einer „Ewigkeits- und Einheitlichkeitsdoktrin“ bricht er das historische Kontinuum der universalen, allgemeinen, kurz: katholischen Glaubens-Gemeinschaft auf und enthebt auf diese Weise die einzelnen Teile des Kontexts, der ihnen zusteht: Diözesen, Provinzen und Konferenzen sind in sich selbst theologisch bedeutungslos, da sie säkulare Verwaltungseinheiten auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene sind.

Schließlich löst Ring auch die altkatholische Gemeinschaft selbst aus dem Kontext heraus, der ihr eigentlich zustünde: Es geht gar nicht mehr um eine Ökumene, die zu einer in der Geschichte auffindbaren Kirchengemeinschaft strebt. Stattdessen geht es offenbar um ein verstetigtes und auf Dauer angelegtes Für-sich-Sein, obschon seine Rede von der „Kirche mit eigenem Profil“ um einiges vorsichtiger formuliert ist als die Aussage der Generalvikarin Goller, die 2021 das Ziel einer Kircheneinheit explizit verneint hat.

Damit verlässt der altkatholische Bischof letztlich auch das Kontinuum, in dem sich „Kirche“ als Gemeinschaft von Selbst-Deutung und Selbst-Verortung befindet, eben zugunsten einer a-historischen, einer un-geschichtlichen Perspektive.

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert