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Im Gendertrouble?

Lässt man all den unnötigen Zinnober beiseite, dann ist der folgende Ausschnitt der systematische Dreh- und Angelpunkt in Alice Schwarzers jüngstem „Zeit“-Artikel, welcher zugleich dem programmatischen Kern des Zweite-Welle-Feminismus entspricht:

aus Alice Schwarzers Artikel „Im Gendertrouble“,
in: ZEIT Nr. 09/2022, 23. Februar 2022

„Gender“ lasse sich demnach nicht auf „Sex“ reduzieren, und Kultur werde nicht durch Natur normiert. Damit wendet sich dieser Feminismus gegen ein „Patriarchat“, das behauptet, die sozialen Rollen als Mann und Frau seien jeweils biologisch prädeterminiert (z.B. die Rollenverteilung zwischen „Ernährer“ und „Hausfrau“).

Der Artikel wendet sich nun jedoch auch gegen eine Sichtweise, die meint, Natur müsse durch Kultur normiert und „Sex“ könne auf „Gender“ reduziert werden. Damit zielt Schwarzer auf den Feminismus der vierten Welle, also auf die aktuelle Iteration, die seit den 2010er Jahren zunehmend an Beliebtheit gewonnen hat und gewinnt. Diese Geschmacksrichtung des Feminismus steht so verstanden zwar auch im Widerspruch zu einem wie zuvor beschriebenen „Patriarchat“, aber doch auf eine grundlegend andere Art und Weise. Wo der Feminismus der zweiten Welle die Verbindung oder Verknüpfung zwischen Kultur und Natur konzeptionell mehr oder minder kappt (bzw. kappen möchte), da vertritt der so begriffene Feminismus der vierten Welle gewissermaßen die diametrale Umkehrung jener Verbindung, die das „Patriarchat“ propagiert:

Demnach schreibe nämlich nicht das biologische Geschlecht die soziale Rolle vor, sondern die soziale Rolle – begriffen als individuelle Identität – schreibe das biologische Geschlecht vor.

Eine so präsentierte Beschreibung des Vierte-Welle-Feminismus kann man selbstverständlich kritisieren. Doch selbst wenn es auf die eine oder andere Art sicherlich auch um einen Generationenkonflikt innerhalb der feministischen Bewegung geht, sollte die Kritik an dieser Äußerung aus dem Zweite-Welle-Feminismus sachlich verankert sein. Dafür scheint es wiederum wesentlich, die zentrale Grundannahme aus dem oben zitierten Artikel zu thematisieren:

Die Kategorie „Geschlecht“ gehört zur kleinsten gemeinsamen Wirklichkeit. Das heißt: „Geschlecht“ ist weder rein subjektive Idee noch rein objektive Materie. „Geschlecht“ ist, ganz im Gegenteil, ein Universale, welches sich im personalen Dasein verwirklicht und darin als solches auch von anderen erkannt werden kann. Unabhängig davon, welcher Seite man nun persönlich in diesem innerfeministischen Streit zuneigt, muss hier ein Ausläufer des Universalienproblems diskutiert werden, um sich über die kleinste gemeinsame Wirklichkeit zu verständigen.

Und wer dazu nicht bereit ist, sollte sich wohl am besten komplett aus der Diskussion heraushalten.

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