Würde man über die Kanonisation heidnischer Schriften genau so reden wie über die Ordination von Frauen
Hinter der Redeweise von Jesus als jüdischem Rabbi steht ein in Wirklichkeit sehr viel differenzierteres Bild: ein nahöstliches Gruppenbild mit ganz vielen Religionen!
So finden sich unter den ersten Zeugen der Geburt Jesu „Sterndeuter aus dem Osten“ (Mt 2,1-12), die wahrscheinlich zur persischen Priesterkaste gehörten und/oder Vertreter der zoroastrischen Religion waren. Dies zeigt, dass selbst die biblische Überlieferung den Wahrheitsanspruch anderer Religionen anerkennt, da auch diese den christlichen Glaubenskern – Jesus ist in Betlehem geboren (vgl. Lk 2, 12) – aus eigener Kraft heraus erkennen und finden können.
Und nicht nur hat Jesus selbst einen Samaritaner als lobendes Beispiel gegenüber einem Priester und einem Leviten hervorgehoben (Lk 10, 25-37), sondern er hat auch dem Hauptmann von Kafarnaum (Mt 8, 5-13; Lk 7,1-10; Joh 4, 46-54) und einer heidnischen Frau (Mt 15, 21-28) geholfen. Das zeigt, dass Jesus gleichsam Achtung und Respekt vor allen Religionen hatte, ob nun spezifisch als abtrünniges Judentum und römischer Staatskult oder ganz allgemein als Heidentum. Dem gegenüber steht das negative Urteil Jesu gegenüber seiner eigenen Religion, wie es beispielhaft im Umgang mit den Pharisäern (Mt 5, 20) und bei der Tempelreinigung (Mt 21, 12-17; Mk 11, 15-19; Lk 19, 45-48; Joh 2, 13-16) deutlich wird, aber auch bei den Antithesen („Ich aber sage euch“) der Bergpredigt. Dies validiert die heidnischen Religionen positiv gegenüber dem Judentum, als dessen Teil Jesus insofern lediglich im Sinne einer geschichtlichen Kontingenz geboren wurde.
Zugleich gilt zu bedenken, dass das Apostelkonzil, welches über die Verbindlichkeit der jüdischen Religion entschieden hat (Apg 15, 28-29), keine Aussage zum Schriftkanon trifft und damit nicht vorschreibt, dass ausschließlich jüdisches Schrifttum als liturgisch akzeptabel und göttlich offenbart angesehen werden muss.
Die metaphorische Bedeutung des auserwählten Volkes wird in der Regel weitestgehend außer Acht gelassen, ebenso wie die Differenzierung zwischen „Israel“, „Volk Gottes“ und „Hebräer“. Eine differenzierte Betrachtung der bildhaften Rede von der Erwählung lässt keine direkte Übertragung der Erwählung Israels auf das Volk der Israeliten zu. Die Entwicklung ist komplexer und lässt sich nicht so einfach aus den Texten des Alten Testaments entnehmen. Schließlich sollte bei der Betonung, dass Jesus von Nazaret ein Jude gewesen ist, auch die Deutung des auferstandenen Christus durch Paulus beachtet werden: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Gal 3,27-28).
Zum Traditionsargument lässt sich als Fazit festhalten, dass der Grund für den Ausschluss der nicht-jüdischen Schriften aus dem Bibelkanon wesentlich im leibhaftig-gesellschaftlichen Bereich, in der conditio der Nichtjuden gesehen wurde, eine Ordnung, in der man Spuren und Verweise auf Gott sah. Ein solcher Sachverhalt stellt in sich keine Glaubenslehre dar. Er ist nicht als geoffenbarte Glaubenslehre einmütig von der Tradition bezeugt worden.
In diesem Zusammenhang ist bereits die Aussage erwähnt worden: „Und es sprechen gute Gründe dafür, dass aus historischen, pastoralen und ökumenischen Erwägungen die Kanonisierung heidnischer Schriften derzeit als nicht opportun abgelehnt wird. Ob die Gründe auf Dauer tragen und überzeugen, wird die Zukunft zeigen.“
Es handelt sich bei der Frage der Heidenkanonisation nicht um eine Glaubensfrage, sondern um Traditionsgut (eben in historischer, pastoraler und ökumenischer Hinsicht). Die Diskussion sollte unter Beachtung dieser Tradition geführt werden und es muss auch immer die Tragweite von Reformen bedacht werden. Aus reiner Angst Reformen zu vermeiden oder gar zu verhindern, widerspricht allerdings dem Geist des Neuen und des Aufbruchs, von dem das Neue Testament aber auch große Teile der Geschichte des Christentums geprägt sind.
Zum Abschluss möchte ich noch eine Aussage zitieren: „Die Kirche ist das wandernde Gottesvolk, das keine Prädefinition aller Wegstrecken besitzt, durch die es wandern, auf die es sich einstellen muss. So kann man auch nicht unwiderleglich und ein für alle Mal festlegen, was an der geschichtlichen Gestalt bleibend ist, zumal in diese Geschichtlichkeit gerade im Fall der Heidenfrage sehr kontingente, glaubensindifferente, ja glaubensinkonforme Momente eine Rolle gespielt haben. So muss man wohl wiederholen: Die Frage ist offen, die Kirche mithin entscheidungskompetent.“
Deswegen spricht nichts dagegen, aber so gut wie alles dafür, auch Texte wie die Alten Veden, das Corpus Hermenticum, das Daodejing oder die Illias und Odyssee zum Kanon der biblischen Schriften hinzuzufügen.

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