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Der Senf zu den Wahlen

Der Erfolg der AfD beruht auf dem Zusammenkommen mehrerer Faktoren, und einer davon ist ein derzeit sehr prominentes bundes- und europapolitisches Thema. Bezeichnend finde ich in der Hinsicht Frauke Petrys ausweichende Reaktion auf die Frage, was denn von der AfD übrig bliebe, wenn das Thema „Flüchtlinge“ in den nächsten Monaten abebbt. Das ist letztlich das Kernthema für den Erfolg der AfD, und damit steht sie in der Tradition anderer Neu-Parteien, die durch bundespolitische Themen in Landtage gewählt wurden: angefangen bei der NPD in den 1960er Jahren über die Grünen in den 1980ern und die WASG-Linkspartei nach dem Jahrtausendwechsel bis zu den Piraten 2011/2012.

Das kann erklären, wie die AfD überhaupt so erfolgreich sein kann in mehreren Ländern, eben auch in westdeutschen Flächenländern. Es reicht aber nicht aus, um die Höhe der Wahlergebnisse einzufangen. Hier kommen landesspezifische Faktoren zum Tragen.

Angefangen beim Profilierungs-Problem der CDU Baden-Württemberg. Das Land ist, so wie auch Bayern, strukturell auf eine Staatspartei hin ausgerichtet, und traditionell war das halt die CDU. Immer wenn sie dieses Format nicht ganz ausgefüllt hat, kamen andere Kräfte nach oben, wie z.B. die Republikaner in den 1990ern. In der Vergangenheit konnte sie sich deshalb davon erholen, weil sie nicht aus der Regierung geflogen ist; das war nun 2011 anders. Und prompt zeigt sich, dass die CDU in Baden-Württemberg außer regieren nichts kann. In die so klaffende Lücke sind einerseits die Grünen vorgestoßen, die mit ihrem Regierungschef auf dem Weg zur neuen Staatspartei sind1 – und andererseits die AfD.

Im Kontrast dazu hat Rheinland-Pfalz traditionell weniger eine Staatspartei als viel mehr einen Landesvater (oder -mutter). Angefangen bei Altmeier über Kohl und Vogel bis hin zu Beck und dessen Truchsessin Malu Dreyer, die nun in eigenem Recht regieren kann. Die RLP-CDU hatte seit den späten 1980er Jahren innere und durchaus auch existenzgefährdende Querelen, die Julia Klöckner weitgehend durch einen Kurs überwinden konnte, der christdemokratisch im eigentlichen Sinne war. Interessanterweise hat sie wohl am direktesten an die AfD verloren. Andererseits hat die AfD aber auch in Rheinland-Pfalz das niedrigste Ergebnis aus allen drei Ländern, und die CDU das höchste, eingefahren. Hier sehe ich den tatsächlich spannenden Fall, was das Aufeinandertreffen von Christdemokratie und Nationalkonservatismus angeht, den die Union in ferner Vergangenheit bereits mit der DP geführt und gewonnen hat.

Sachsen-Anhalt kennt schließlich weder eine Staatspartei noch einen Landesvater, sondern nach der Landeshauptstadt wurde gar das Modell einer Minderheitsregierung benannt – denn dort ist die Situation traditionell schwierig und verworren (u.a. 12% DVU 1998). Die Wahl 2011, in der schwarz-rot bestätigt wurde, war da eindeutig die Ausnahme denn die Regel: sonst gab es nach jeder Wahl einen Regierungs- bzw. Koalitionswechsel. Die Wählerbindung ist in Sachsen-Anhalt generell schwach, Wechsel und Schwankungen traditionell stark ausgeprägt, und da passt eben auch das Ergebnis der AfD von knapp 25%. Denn ein zweiter regionaler Faktor besteht: Jenseits der Elbe konkurriert die AfD auch mit der Linkspartei um den Status als Ossi-Partei, als Protestpartei, die für die Interessen und Identität speziell der ostdeutschen Bevölkerung eintritt. Die Linke konnte bei vergangenen Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt auch schon um die 25% der Stimmen einfahren. Und aktuell hat die AfD als *gida-Partei in diesem Feld die Nase vorn.

Die Rede von „Epochenwechseln“, ob nun positiv oder negativ bewertet, halte ich für überzogen: Der Erfolg der AfD liegt zu einem großen Teil eben „im System“ begründet, und sie ist insofern ein natürlicher Ausfluss „des Systems“; vielleicht ist sie in dieser Situation sogar die echte „Systempartei“. Die Rede von „Altparteien“ mag zwar gut klingen – und sie wurde auch von o.g. neuen Parteien immer gerne aufgegriffen -, ist aber doch eher der politischen Eigenwerbung zuzuordnen. Bei Höcke und anderen AfD-Funktionären z.B. passt sie vielmehr in das Generalparadigma, das er auch in Talkshows gerne nutzt, um „eins gegen fünf“-Situationen zu beschwören und dadurch die Hälfte der Redezeit zu fordern.

So lange sich die Wahlergebnisse mit der „Logik des Systems“ erklären und verstehen lassen, besteht keine Notwendigkeit, mit neuen Paradigmen und Faktoren zu hantieren.

Ich sehe natürlich die inhärenten Zwänge, die sich aus Sicht der AfD ergeben: Einerseits muss man sich als Folge des Systems darstellen. Andererseits darf man sich aber nicht darauf reduzieren lassen. So wird es notwendig, neue Variablen einzuführen; in diesem Fall also „islamische Massenmigration“, „Medien-Gleichschaltung“ und/oder „Meinungs-Diktatur“. Bei der NPD war es seinerzeit der „Verlust der Ostgebiete“, die Grünen verwiesen auf „le waldsterben“ und „sauren Regen“, WASG-Linke kam mit „Hartz 4 / Agenda 2010“ daher, und bei den Piraten war es „Zensur / Überwachung“. Das alles war „ganz neu für die BRD“, und würde natürlich auch „lange nachwirken“ oder „eine neue Epoche einläuten“.

Daneben steht die Aussage der AfD-Wähler, die ihr in allen drei Ländern zu drei Vierteln aus Protest die Stimme gaben. Teilt man die Wahlergebnisse durch vier, so ergibt sich der Anteil derjenigen, die zumindest mal programmatisch auf Linie sind. Das sagt andererseits aber auch nichts darüber aus, ob diese Programmatik zutrifft oder nicht.

Damit will ich nun nicht sagen, dass die Ergebnisse der AfD keine Probleme anzeigen. Ganz im Gegenteil: Es steht dahinter ein großes Problem, das ich als Wegschmelzen oder Verlust des zivilisatorischen Konsens bezeichnen würde, auf dem sich die Bundesrepublik gründet. Christdemokratie, Sozialdemokratie und Freidemokratie verlieren ihren Charakter als Gravitationszentren, womit auch der Status der Volksparteien verschwindet oder zu verschwinden droht und sie durch Weltanschauungsparteien ersetzt werden.

Christian Lindner hat das im Fall der FDP erkannt und will sie wieder zu den freidemokratischen Wurzeln zurückführen. Deswegen hat er schon in der Ära Westerwelle Haue bezogen, denn da hat sich die FDP ihre hohen Stimmanteile als Weltanschauungspartei errungen. Lindners freidemokratisches Revival lässt sich durchaus in Wahlerfolge münzen, wie man sieht. Allerdings: das geschieht nicht über Nacht, sondern nur über Jahre hinweg. Lindner hat daran schon seit spätestens 2010 gewerkelt, als die FDP sich durch die Regierungsübernahme selbst zerlegt hat, ohne dass es nach außen so deutlich sichtbar gewesen wäre wie dann ab 2011.

Julia Klöckner hat das im Falle der Christdemokratieversucht, indem sie aus dem „entweder Merkel oder Seehofer“ ein „sowohl als auch“ machen wollte, was in der konkreten Situation nicht gefruchtet hat. Da müsste es wohl in der Union entweder mehr von ihrem Schlag oder tatsächlich einen massiven Erdrutsch in den Bereich von dauerhaft unter 20% geben – für Baden-Württemberg könnte das durchaus ein realistisches Szenario sein.

In der SPD sucht man gegenwärtig (leider) vergeblich nach einem Äquivalent.


  1. Das wird sich daran zeigen, ob sich bei den Grünen ein Nachfolger im Kretschmann-Format finden wird. ↩︎

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